FIfF-Kommunikation 2/95 _________________________________________________________________ Kurt Jaeger (Kein) Schutz geistigen Eigentums? Das Internet und seine vielfältigen Anwendungsfälle geistigen Eigentums dienen als Labor für viele Experimente zu diesem Thema. Eine Diskussion der rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen ist überfällig. John Perry Barlow, u.a. Texter der Grateful Dead und im Vorstand der EFF (Electronic Frontier Foundation) und insoweit bereits mit diesen Themen vertraut, hat bereits deutlich Stellung genommen (in The Economy of Ideas, erschienen in Wired, März 1994). Seine These ist grob vereinfacht, daß das derzeitige Verständnis von Urheberrecht aufgrund der technischen Entwicklung überholt ist. Einige Beispiele sollen das Problem digitaler Information deutlich machen. Geschützte Software wird heute bereits vom sogenannten Computer Underground über das Internet und ähnliche Netze verteilt. Dabei wird ausgenutzt, daß in vielen Institutionen praktisch unkontrollierte Systeme vor sich hin laufen. Anonymität ist größtenteils gewährleistet, da die Auswertung der manchmal mitgespeicherten Auditinformationen aufwendig ist und praktisch nicht gemacht wird. Der generelle Verbreitungsweg von Software unter Verletzung des Urheberschutzes ist nicht neu, gewinnt aber durch die globale Verbreitung erheblich an Brisanz und Geschwindigkeit. Verschiedene Abstufungen von Vertriebsmodellen von Software im Internet (Freeware, Public Domain, Shareware) weichen das Verständnis bei den AnwenderInnen für die reine, harte Linie (»Alles ist geschützt und für alles muß mensch bezahlen«) auf. So kommt es, daß selbst Firmen wie Adobe, die für ihre Entwicklung »Postscript« viele Kämpfe zum Schutz geistigen Eigentums geführt haben, beginnen, manche ihrer Anwendungen kostenlos auf dem Internet bereitzustellen. De facto werden selbst von Microsoft Betaversionen ihrer Anwendungen und des Betriebssystems als Marketingmaßnahme praktisch kostenlos weitergegeben. Darüber hinaus gilt Programmcode natürlich als durch das Urheberrecht geschützt. RC4 ist ein Verfahren, welches die Firma RSA Inc. als ihr geistiges Eigentum und Firmengeheimnis bezeichnet. Vor kurzem ist auf dem USENet, automatisch in Sekundenschnelle weltweit verteilt, ein dieses Verfahren implementierendes Stück Programmcode aufgetaucht. Da die Verteilung automatisch erfolgte, sind die Betreiber der Informationserver, auf denen es erschien, dafür belangbar? Darf dieser Code nun in Programmen verwenden werden? Es ist ja nicht der identische Code der Firma RSA, sondern er verwendet nur ihr Verfahren? Multimediale Information ist eine weitere Grauzone des Urheberrechts. Natürlich existieren Rechte an einem Bild. Wenn ein Künstler aber nur einen Ausschnitt eines Bildes in einem eigenen Werk weiterverwendet, wann fängt der sogenannte »fair use« an? Wenn er einen klitzekleinen Ausschnitt nur als Bitmuster nimmt, um ihn als Hintergrundmuster für ein eigenes Bild verwendet? Wenn die Künstlerin eigene Farben für diesen Ausschnitt wählt? Wenn sie mathematische Transformationen vornimmt, z.B. Konturen eines Ausschnitts oder eines Gesamtbilds verwendend? Eine Vielzahl von Verfahren zur Bildmanipulation ist bekannt, und täglich werden es mehr. Was wäre, wenn solche Verfahren zufällig auf sehr ähnliche, aber unabhängig generierte Bilder hinauslaufen? Kann das ursprüngliche Bild alle mit automatischen Verfahren abgeleiteten Bilder als Ausgangsmaterial mit seinen rechtlichen Ansprüchen herausfordern? Wie geht dieses noch im Zeitalter des »Morphing«, d.h. das Ableiten von einem Ausgangsbild mit Hilfe eines schrittweisen Übergangs? Die Bilderfolgen, die aus Clinton Jelzin machen, sind ja in den letzten Monaten hinreichend bekannt geworden. Ähnliche Verwirrung herrscht auch im Reich der Töne und Geräusche, dank Rap, Techno und modernen DJs ist immer weniger klar, wo das Original aufhört und die eigene Kunst beginnt. Kann aus der Länge von Tonmitschnitten oder deren algorithmischen Umformung ein Rechtsanspruch des Orginalinterpreten abgeleitet werden? Im WorldWideWeb des Internet wird dies noch konfuser. Wenn in einer aufwendig entworfenen Hypertextseite ein besonders gelungenes Icon oder Muster erscheint, dann dauert es nicht lange, bis es auf andere Seiten kopiert wurde. Hier könnte wieder das Urheberrecht als Beschränkung auftreten. Aber schützt es auch, wenn der Nutzer es einfach über eine Hypertextreferenz vom Orginalserver her in seine eigenen Dokumente aufnimmt? Nun sind beleibe nicht alle Informationen auf dem Internet verfügbar. Dank modernen Techniken wie Scanner und OCR (automatische Texterkennung) könnte sich aber ein immer größerer Teil geistigen Eigentums in elektronischer Form wiederfinden. Von Soundkarten in PCs, CD-ROM Lesegeräten und Videokarten ganz zu schweigen. Die Stellungnahme von John Perry Barlow zum Thema Geistiges Eigentum weist damit auf eine der vielen offenen Fragen hin, die sich aus dem Erfolg des Internet ergeben. Während die Diskussion dazu in den USA seit Jahren offen und qualifiziert geführt wird,(s. dazu: US Congress, Office for Technology Assessment, Finding a balance: Computer Software, Intellectual Property and the Challenge of Technological Change, OTA-TCT-527, Washington, DC: US Government Printing Office, May 1992, ISBN 0-16-036188-5) verliert Europa mit seiner nur marginalen Kapazität in der Technologiefolgenabschätzung jeden Gestaltungsspielraum. Die Diskussion über geistiges Eigentum wird global geführt. Die Teile des GATT-Vertrages zu »intellectual property rights« machen dies klar. Ein wichtiger Teil der Weltbevölkerung, China, widersetzt sich den Regeln. Viele Entwicklungsländer fürchten um ihre letzten Resourcen: Genetische Vielfalt. Die Diskussion geht über Urheberrechte (Copyright) weit hinaus. Sie umfaßt Patente, Firmengeheimnisse, ethische Regeln, Software, Schutz der Privatspähre und natürlich wirtschaftliche Grundannahmen. Die Ursache der Diskussion liegt in den Veränderungen der technischen Grundlagen: Hypertext-Links und die praktisch beliebige Manipulation von multimedialen Daten, wie sie im Internet vorgelebt wird. Nehmen wir daher die folgenden vier Fälle: Barlow hat recht oder nicht, kombiniert mit »Die Gesellschaft reagiert« oder »reagiert nicht« . Eine Reaktion entspricht einer Modifikation des Urheberrechts und anderer, betroffener Rechtsnormen, die die derzeitige Regelung weitestgehend annuliert. Der einfachste Fall zuerst: Barlow hat nicht recht und wir reagieren nicht. Fein, Problem gelöst. Der nächste Fall ist komplizierter: Barlow hat nicht recht, aber wir reagieren darauf. Wenn sich diese Sichtweise international durchsetzt, reduziert sich der Fall auf »Barlow hat recht und wir reagieren«. Handelt die Gesellschaft aber nur im nationalen Rahmen oder innerhalb der EU, dann ist dies für andere Staaten eine Form von Rechtsdumping, ähnlich dem Umwelt- oder Sozialdumping. Eine Handelsblockade für Informationsgüter ist aber vermutlich nicht durchsetzbar. Dies geschieht höchstens unter dem Verlust der internationalen Kommunikationsfähigkeit, Beispiel Nordkorea. Die Erfahrungen mit dem Technologieexportabkommen COCOM weisen in diese Richtung. Kann eine demokratische Regierung einen solch krassen Wechsel im Rechtsverständnis durchführen, ohne abgewählt zu werden? Unter der Annahme, die Technologie erzwingt eine Änderung nicht? Wie wirkt sich dieser Wechsel auf Beschäftigung, Forschung und industrielle Konkurrenzfähigkeit aus? Die Gewinner und Verlierer sind derzeit nicht bestimmbar. Wenn Barlow mit seiner provokanten These Recht hat, stehen interessante Zeiten bevor. Wenn die gesetzlichen Grundlagen nicht geändert würden, behindert sich die nationale oder regionale Informationswirtschaft selbst. Durch eine Vielzahl von Gerichtsverfahren, zögernder Investition in Information und eine verbreitete Unsicherheit verlangsamt sich das Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Sektor. Je nach Sichtweise mag man darin einen Vorteil oder Nachteil sehen. Die versprochenen vielen tausend Arbeitsplätze werden dann aber nicht in Europa entstehen. Aber einige hundert Rechtsanwaltsjobs... Die radikale Änderung im Rechtsverständnis aber, die Änderung des Urheberrechts und angrenzender Rechtsgebiete, birgt ebenfalls große Unwägbarkeiten. Eine Neuregelung muß sich daran orientieren, daß keine Sekundärgesetzgebung durch viele tausend Gerichtsurteile provoziert wird. Der Übergang wird dann mit sehr starken wirtschaftlichen Umschichtungen ablaufen. Die Steuerung dieses Übergangs öffnet dabei ein politisches Aufgabengebiet, vergleichbar dem der Wiedervereinigung der BRD. Technologiefolgenabschätzung, wie Bürger und Unternehmen national, in der EU und global dabei abschneiden, ist daher bereits heute dringend erforderlich. Wer profitiert, in wessen Interesse läge eine solche Veränderung? Weitere Fragen, kurz angerissen, stellen dar, daß eine umfassende Diskussion über dieses Thema notwendig ist: Ist unbeschränkt verfügbare Information ein Innovationsvorteil? Kurzfristig oder auch langfristig? Kann dadurch die Informationsflut eingeschränkt werden? Sind Dateneinbahnstraßen nach dem Vorschlag von Spöri, Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg hier nützlich oder schädlich? Kann es ein Urheberrecht in abgeschwächter Form geben, etwa als Recht auf Nennung des Urhebers? Ich fordere, den zum Rechtsumfeld von Urheberrecht notwendigen gesellschaftlichen Diskurs nicht auf Multimedia-Enquetekommissionen zu beschränken, sondern in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft voranzutreiben. Initiativen wie das Forum Soziale Technikgestaltung des DGB Baden-Württemberg sind Beispiele, wie von nicht-wissenschaftlicher Seite entscheidende Impulse für die oben genannten Fragestellungen kommen können. Um zur Fragestellung auch praktisch Stellung zu nehmen, unterliegt dieser Artikel den GNU Copyright Regeln. Sie sind u.a. auf ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/unix/gnu/COPYING-2.0.gz zu finden. Zugang via Modem über +49-711-685-7712, login info. 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