Von    : Prof. Dr. Andreas M. Heinecke
An     : Dr. Bernd Claßen, Rainer Wasserfuhr, Hans-Josef Heck, Kurt Jaeger
Datum  : Montag, 1. November 2004, 18:36
Betreff: GI-Wahlen, Software-Patente

Sehr geehrte Herren,

Sie haben mich im Zusammenhang mit meiner Kandidatur zum GI-Präsidium
um eine Stellungnahme zur Diskussion um Software-Patente gebeten. Ich
komme dieser Bitte gerne nach un stelle Ihnen anheim, meine Ansicht in
geeigneter Weise weiteren an der Thematik interessierten Personen
zugänglich zu machen.

Algorithmen dürfen ebenso wie Sätze und Beweise der Mathematik nicht
patentierbar sein. Die Informatik ist wie die Mathematik eine
Grundlagenwissenschaft, in der neues Wissen durch ständige
Fortentwicklung des vorhandenen entsteht. So sind höhere
Sortierverfahren Weiterentwicklungen der direkten Verfahren, und die
direkten Verfahren exakte Formulierungen allgemein bekannter
Vorgehensweisen. Kann sich ein Kartenspieler patentieren lassen, wie
er seine Karten sortiert? Ist dieses Verfahren patentierbar, wenn man
es stattdessen "Direktes Einfügen" nennt? Wird es patentierbar, wenn
man das Einfügen mit unterschiedlicher Schrittweite (Shellsort)
durchführt? Wo ist die entscheidende Erfindungshöhe, insbesondere wenn
man bedenkt, dass Konrad Zuse das Patent auf den Computer als solchen
wegen mangelnder Erfindungshöhe verweigert wurde? Wie kann sich jemand
die Verwendung von Ankern und Verweisen (Links) patentieren lassen,
wenn Verweise seit langem in Lexika gebräuchlich sind und die Idee,
diese zu automatisieren, bereits 1945 von V. Bush publiziert wurde?

Die Umsetzung von Algorithmen in Software unterliegt dem
Urheberrrecht. Dies ist vernünftig, damit niemand ohne weiteres
Software einfach kopieren kann. Es muss aber möglich sein, bekannte
Algorithmen in geeigneter Form zu nutzen, ohne dabei jemandem
tributpflichtig zu werden. Die Software-Technik versucht ja gerade,
durch Entwurfsmuster (Patterns) und durch Wiederverwendung den Aufwand
der Software-Erstellung zu verringern.

Software-Patente sind lediglich eine neue Strategie internationaler
Großkonzerne, alle Software-Entwickler von sich abhängig zu machen und
insbesondere die Open-Source-Bewegung zum Erliegen zu bringen. Mit
entsprechendem Aufwand lässt sich in jedem größeren Software-Projekt
etwas finden, das irgend jemand schon einmal so gemacht hat und sich
dann vielleicht patentieren ließ. Für Selbständige (als solcher war ich
längere Zeit mit Software-Entwicklung beschäftigt) ist es zum einen
nicht leistbar, alle möglichen Patente darauf zu überprüfen, ob man
sie vielleicht versehentlich verletzt hat. Zum anderen ist es für sie
nicht erschwinglich, anfallende Lizenzgebühren für unvermeidbare und
zum Teil triviale Algorithmen zu zahlen. Nur Großkonzerne, die sich
gegenseitig ihre Patentsammlungen anrechnen können, sind dann noch
konkurrenzfähig.

Daher spreche ich mich eindeutig gegen Patente auf Software aus.

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Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Andreas M. Heinecke 
FH Gelsenkirchen - FB Informatik 
Interaktive Systeme 
45877 Gelsenkirchen